[Story-Samstag] Die Wörter, die ich rief

You better watch out,
You better not cry,
Better not pout, I’m telling you why:
Story-Samstag ’s coming to town!

Das letzte mal haben wir die besinnliche Zeit etwas aufgemischt und Weihnachten sabotiert: 

Wir nähern uns mit schnellen Schritten dem Weihnachtsabend. Ich habe jetzt schon etwas über Glühwein gehört, Traditionen, Weihnachtskatastrophen und Bescherungen. Ich habe so viele tolle Weihnachtsgeschichten gehört, die meisten davon sogar mit Happy End, dass ihr mich richtig auf den Geschmack gebracht habt. Ob ihr mir doch bitte noch ein paar davon schreiben könntet? Aber bevor jetzt jeder traditionell anfängt, mir was von drei heiligen Königen erzählt oder drei Geister herbei ruft, habe ich wie immer eine kleine Herausforderung für euch. Eure Weihnachtsgeschichte soll mindestens 3 der folgenden Wörter enthalten:

  • Drehmoment
  • Revision
  • Vertreter
  • Ostpreußen
  • Konferenz

Der Wortgenerator hat es so entschieden. Also schiebt bitte nicht mir die Schuld in die Schuhe. Ach Herrjemine. Was schreib ich denn da jetzt…

Es begab sich zu einer Zeit, dass der Aufseher des Amtes für Erdengebräuche sich räusperte und kurz in einem geräumigen Zimmer umsah. Er schob mit einem langen, dünnen Finger ein Ärmelende seines perfekt gebügelt und gestärkten Hemdes ein Stück nach oben und kontrollierte die Zeit an einer kuriosen Uhr, die an seinem Handgelenk befestigt war. Zumindest für normale Menschen war es ein seltsames Zeitmessgerät. Für den Aufseher schienen die seltsamen drehenden Scheiben und Dreiecke durchaus Sinn zu ergeben.

„Nun denn,“ sprach er und räusperte sich autoritär. Die anwesenden Gestalten stellten ihren Plausch ein und setzten sich brav an ihre Plätze. „Sie befinden sich hier im Konferenzraum drei. Krisensitzung zum Weihnachtsbrauchtum.“ Man hörte einen leisen Fluch und eine Hexe versuchte mit geringem Erfolg, sich unauffällig aus dem Konferenzraum zu schleichen. Dabei unterschätzte sie die Länge ihres Besens und schlug leider all zu häufig jemanden bei ihrem Weg durch die engen Reihen in einem Drehmoment den Besenstiel an Köpfe oder Knie. Kurz vor der Tür drehte sie sich noch einmal fragend um. „Ähhh, wo-“ „Heidnischer Götterglauben in Raum zwei, gegenüber.“ „Ups“, erwiderte sie noch und wechselte flux das Zimmer.

Der Aufseher räusperte sich erneut und versuchte, seinen Faden wieder aufzunehmen. „Wie sie alle wissen, hat sich der Weihnachtsbrauch in den letzten Jahren recht heftig gewandelt. Seit der kollektive Glaube der Menschheit die antropomorphe Gestalt des Weihnachtsmannes erschaffen hat, haben sie alle einen sehr netten Kollegen dazu gewonnen. In meinem Revisionsbericht ging jedoch hervor, dass der neue Vertreter des Weihnachtsgedankens zunehmend an Popularität gewinnt.“

Eine zarte Gestalt stand aus der großen Ansammlung von Anwesenden auf. „Der amerikanische Weihnachtsmann ist plötzlich überall,“ begann das Christkind. „Uns macht es nichts aus, dass er Asien übernimmt. Die Shintoisten und Buddhisten können, wie auch die Atheisten, gern mitfeiern. Soll er in Japan und Indien rumfliegen, so oft er will. Soll er meinetwegen auch in abgelegene christliche Orte, nach Ostpreußen oder so, wo es noch nie einen Vertreter von uns gab. Aber das der Typ uns unsere Jobs – unser Weihnachten wegnimmt, finden wir nicht fair.“ „Der ist jetzt auch in den Niederlanden!“, warf Sinterklaas ein. „Ich soll jetzt rotes Fell tragen“, bemerkte sein finnischer Kollege Joulupukki. „Kaum einer feiert noch am 7. Januar!“, beschwerte sich Väterchen Frost. Der heilige Vassilius rief ein „geschweige denn am 31. Dezember“ nach. „In Australien hat er sogar ’nen Zweitschlitten mit Kängurus statt Rentieren“, murmelte der Olentzero etwas neidisch.  Die dreizehn Weihnachtszwerge von den Bergen beschwerten sich alle auf einmal, was das Chaos komplett machte. Niemand merkte in dem Trubel, wie sich die Tür öffnete und sich eine rote Gestalt herein schob.

Der Aufseher sorgte mit einem lauten „SILENZIO!“ für Ruhe im Saal. Da bekam die bunte Ansammlung an Weihnachtsgestalten mit, dass sich der Grund ihrer Aufregung bereits unter ihnen befand. Doch ihre Wut verpuffte, als sie sahen, wie müde und erschöpft der Weihnachtsmann wirkte. Die Bommel an seiner roten Mütze hing kraftlos herunter, sein Bart wirkte zerzaust und ungepflegt und an seinem Mantel klebte Ruß und Asche.

„Entschuldigt, dass ich zu spät komme, meine lieben Freunde. Ich bin etwas abgekämpft.“ Der Weihnachtsmann atmete schwer. „Das Pensum ist einfach nicht mehr zu schaffen. Ich wünschte, der Konsum würde aus Weihnachten wieder verschwinden“, setzte er leise hinzu.

Das brachte den Aufseher des Amtes für Erdengebräuche auf eine Idee.

„Weihnachtsmann, in den USA gibt es doch diesen grünen Kollegen von dir, den… Grinch?“ Der Weihnachtsmann nickte. „Sag ihm, er hat ab sofort einen globalen Passierschein.“

Das Christkind wurde blass. „Aber der Grinch KLAUT doch Weihnachten! Damit helfen wir keinem!“ Der Vorsteher schmunzelte. „Mir scheint, du hast die Moral des guten Herrn Seuss nicht ganz verstanden. Sicher, unser grüner Witzbold klaut Geschenke und Dekorationen. Doch jedes mal, wenn der Weihnachtstag kommt, stellt der Grinch fest, dass er keineswegs Weihnachten gestohlen hat, da die Leute dennoch feiern – denn tatsächlich feiern sie nicht für die Geschenke, den Schmuck und das Essen, sondern für das Beisammensein.

Was auch immer Weihnachten für die Menschen bedeuten mag und ob nun du, liebes Christkind, oder der Weihnachtsmann die Geschenke bringt, glaubt nicht, dass der Gedanke an das Fest der Liebe und Hoffnung daher ausstirbt. Die Menschen würden es ohne die materiellen Zeichen für das Fest weiterfeiern, denn für sie sind all diese Dinge einfach eine schöne Tradition, die Weihnachten verdeutlicht, nicht aber ausmacht. Ihr alle“, er machte eine weitschweifende Handbewegung, die jede Gestalt im Raum einschloß, “ seid Teil dieser Tradition und werdet es immer bleiben. Ich sage: Lasset den Grinch auf die Welt los! Denn Weihnachten ist nicht das Präsent unterm Baum oder die Socke am Kamin. Weihnachten ist, was man dabei empfindet.“

Ich wünsche euch allen fröhliche Festtage!


Was ist der Story-Samstag? storysamstagDer Story-Samstag hat nur zwei einfache Regeln: Ich gebe alle 2 Wochen ein kleines Thema vor. Und du hast die Möglichkeit ganz kreativ darauf mit einem geschriebenen Beitrag – egal ob als Gedicht, Abhandlung, Erzählung, Witz oder sonstiger literarischer Art – zu reagieren. 

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19 Kommentare

      • Bei mir geht das eigentlich meistens recht schnell. Ich bin aber gerade auch richtig im Schreiben drin. Heute gings wirklich super schnell, weil ich so gar nicht überlegen musste und einfach gemacht hab. Es kam einfach. Kp. Kommt mehr oder weniger automatisch. Brauch nur ne kleine Anregung.

        LG Corly

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      • Ich schreibe auch immer in einem Rutsch. Ich betrachte es als Experiment. Nehme deine Vorgabe und eine Idee von mir als Kristallisationspunkt und gucke, wohin es geht. Wenn die Luft raus ist, ist die Geschichte auch aus. Während dem Schreiben habe ich im besten Falle ein paar Ideen für Twists oder Entwicklungen … Wenn nicht, dann ist das auch okay. Weil es eben vor allen Dingen ein Experiment ist. Nur die Idee (nicht zu verwechseln mit der Geschichte – ich brauche ein Bild von einem Moment der Geschichte im Kopf), die muss gekommen sein. Dann geht es.
        Aber deine Geschichte ist dafür ausgefeilt und … Herrlich. 🙂

        Gefällt 2 Personen

  1. […] Zum letzten Tag des Jahres 2016 gebe ich auch diesen Samstag wieder Hausaufgaben auf. Ich bin mir aber sicher, dass viele sich schon Gedanken gemacht haben und deswegen ganz schnell ihre Inspiration finden. Das Wort für die nächsten zwei Wochen lautet: Vorsätze. Sehr kreativ, ich weiß. Bevor ich euch aber meine eigenen Gedanken dazu doziere, kommen hier noch die Teilnehmer von den fünf wundersamen Weihnachtswörtern: […]

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